Archive for August, 2007

Was fuer uns inzwischen selbstverstaendlich ist…

Freitag, August 17th, 2007

Ein paar Fragen, die wir immer wieder gestellt bekommen, zeigen uns, dass wir ein paar Informationen bisher schuldig geblieben sind. Da geht es um Themen wie unsere weitere Reiseplanung oder unser persoenliches Empfinden, aber auch um fuer uns alltaegliches wie das Reisen mit dem Rad, der Kontakt zu hiesigen Leuten, das Gesicht von Land und Leuten, das Suchen und Finden einer Unterkunft, das Essen oder dergleichen. Nicht auf alles wird es hier eine genaue Antwort geben, aber wir versuchen es einfach einmal.
Um hier gleich einmal ein paar Fakten einfliessen zu lassen: Unser Reisebudget (ueber den Daumen gepeilt, da ja planlos) ist uebrigens so um die 30,- EUR pro Tag pro Person. Da wir eigentlich seit 2 1/2 Monaten kein eigenes Geld mehr haben sondern ausschliesslich eine gemeinsame Kasse, was, wie man sich vorstellen kann, auch erst mal erlernt werden muss, dann aber herrlich unkompliziert ist, gehen wir eigentlich von ca. 60,- EUR pro Tag aus. Hinzu kommt allerdings noch der Rueckflug nach Deutschland am Ende der Reise. 60,- EUR fuer uns beide kann je nach Umstaenden sehr knapp sein oder aber auch sehr ueppig. An den Tagen, an denen wir zelten und uns selber versorgen, liegen wir weit unter unserem Budget. Steigen wir in Hotels ab, Hostels oder private Unterkuenfte gab es bisher kaum, liegen wir bei den bisher bereisten Laendern (EU, GUS) meist darueber. Dazu kommen die ein oder anderen Sonderausgaben wie z.B. das wegen der benoetigten Ausruestung und des Bergfuehrers recht kostspielige Elbrusabenteuer. Im grossen und ganzen haelt es sich aber bisher die Waage. Dank Internetbanking ist man ja jederzeit ueber den aktuellen Stand informiert. Versorgen tun wir uns mit den jeweiligen Devisen uebrigens ausschliesslich per Bankautomat. Die DKB (Deutsche Kreditbank) hat hier naemlich ein unschlagbares Angebot: kostenlos Bargeld abheben mit der VISA-Kreditkarte weltweit! Da haben wir beide vor der Reise noch jeweils ein Konto eroeffnet. Fazit: perfekt! Umrechnung zum Tageskurs, keine Gebuehren und wir heben eigentlich nur kleine Betraege ab, im Zweifel mehrfach innerhalb von ein paar Taagen. Das hat den Vorteil, dass man nie mit besonders viel Bargeld rumlaeuft. Die allgeimeinen Lebenskosten haben sicherlich graduell auf dem Weg gen Osten abgenommen, was man, wie gesagt, von den Unterkunftspreisen nicht behaupten kann. Im ganzen gehe wir davon, dass dieser Trend auch in Kirgisistan und China, die zwei verbleibenden Laender, weiter anhaelt (gilt natuerlich nicht fuer chinesische Grossstaedte).
Und da waeren wir auch schon beim naechsten Thema, unsere Reiseplanung. Im Blog, als auch auf unserer Google Maps-Seite, haben wir von vornherein schon festgestellt, dass unsere Wunschroute von Nordchina in die Mongolei, an den Baikalsee und zurueck durch die Mongolei (der Wunsch hier war die Wueste Gobi) kaum zu realisieren sein wird. Hauptgrund hierfuer ist das raue kuehle Klima in all diesen Regionen sowie den Hoehenlagen des vorangehenden Kirgisistans ab ca. Anfang Oktober. Von unserem Start Anfang Juni bis dahin haette das eine Reisezeit fuer die bisher bereisten Laender und diese Wunschziele von von etwa 4 Monaten bedeutet. Relativ frueh auf unserer Reise haben wir uns damit abgefunden, dass wir allerhoechstens eins dieser weiten Wunschziele erreichen koennen. Wir haben allerdings auch von vornherein auf eine langsamere Reisegeschwindigkeit Wert gelegt. Durch unser selbsbestimmtes Reisetempo durch Rumaenien, die Krim und schliesslich Russland ist es fuer uns schon lange selbstverstaendlich, dass wir die Mongolei und noch weiter noerdliche Gebiete mit hoechster Wahrscheinlickeit auf dieser Fahrt nicht bereisen werden, zumindest nicht in einem groesseren Umfang. Unsere (grobe) Reiseplanung sieht folgendes vor: Kirgisistan mit dem Tian Shan, auf dem Landweg nach China und entlang der alten Seidenstrassenstrecken an der Wueste Taklamakan den Nordosten Chinas (Xinjiang) entdecken (was wirklich kommt, … Ihr werdet es erfahren!). Nach unserem Kaukasustrip, nachdem wir vor allem wegen der hohen Temperaturen von ueber 40 °C, bei denen das Radeln und das Campen kaum noch als Vergnuegen zu betrachten war, vermehrt mit dem Zug gefahren sind, wollen wir die reizvollen Strecken vor uns wieder hauptsaechlich mit dem Rad bereisen.
Das Reisen mit dem Rad, aus unserer Sicht, hat seine Vor- und Nachteile. Man denke daran, dass wir ja nicht die absoluten Radfreaks sind, die jetzt auf Teufel komm raus maximal viele Kilometer radeln wollen und alleinig in einer Radreise ihre Erfuellung finden. Wir wollten uns vor allem etwas zusaetzliche Freiheit und die Flexibilitaet ausserhalb der Ballungszentren die Laender frei bereisen zu koennen, erkaufen. Die Moeglichkeit auch das noetige Gepaeck zum Zelten mitzunehmen, und somit die Natur unterwegs naeher erleben zu koennen. Die gerade genannten Vorteile haben sich mit Sicherheit bestaetigt. Dazu begeistert es uns immer wieder, wie energiesparend, schnell und viel ausgiebiger wir uns in den Staedten bewegen koennen. Auch abends aus einer Stadt herauszufahren, in der es partout keine Unterkunft mehr gab, da die einzigen Hotels ausgebucht waren, um dort zu zelten, waere ohne Rad wohl kaum moeglich gewesen. Gerade in Rumaenien, aber auch auf der Krim, waren wir voll begeistert, die Landschaft in einem langsamen Tempo und nahe erleben zu koennen; nicht immer unanstrengend natuerlich. Im ganzen zieht man auf jeden Fall eine grosse Befriedgung daraus, aus eigener Kraft und mit gemaechtlichem Tempo grosse Strecken bereist zu haben.
Aber es gibt auch nachteiliges zum Reisen mit dem Rad. An Tagen, an denen wir mit dem Rad eine normale Tagesstrecke zuruecklegen (ca. 65-85km), steht dies klanglos im Vordergrund. Man kommt natuerlich nicht so schnell voran, dass man immer in einem Tag von einem Highlight zum naechsten faehrt. Wir packen morgens unsere Sachen und fruehstuecken dann meist erst unterwegs, nachdem wir an einem kleinen Laden vorbeigekommen sind. Mehrmals am Tag decken wir uns mit Trinkwasser ein. Vor unserem Tagesziel, das, wenn wir zelten, wir meistens nach aktuellem Erschoepfungsgrad auswaehlen bevor einer von uns zu alle ist oder gar zu grossen Hunger bekommt (der schlaegt naemlich bei beiden von uns direkt proportional auf die Laune!), versorgen wir uns meist noch mit ca. 10-12 Litern „Brauchwasser“, das wir zum kochen und provisorisch duschen verwenden. Tagsueber machen wir bei grosser Hitze eine lange sonst sowieso viele kurze Pausen. Ist am spaeten Nachmittag oder Abend erst einmal ein geeigneter Zeltplatz gefunden, das Zelt aufgebaut, verschnauft, geduscht und was zu essen gerichtet, bleibt meist kaum noch die Motivation, das Tagebuch zu pflegen, geschweige denn sich mehr in die kommenden Ziele einzulesen noch etwas im grossen Style zu besichtigen. Natuerlich haben wir auch waerend unserer Radreisetage immer wieder wertvolle Erlebnisse, schoene Momente und Highlights, aber wir spueren doch, dass es uns, allein von der verfuegbaren Energie, auch Grenzen vorgibt. Zum Beginn unserer Reise war es zudem aeusserst problematisch mit dem Fahrrad mit irgend einem anderen Verkehrsmittel mitzukommen. Inzwischen haben wir aber eine gute Routine gefunden, unsere Bikes teilweise auseinander zu nehmen und kompakt zu verschnueren (Fotos von so einem Paket sind inzwischen auch online).
Auf langen Strecken der Ukraine sowie in Russland, da wo die Distanzen eh groesser werden, mussten wir aus Mangel an Alternativen Hauptverbindungsstrassen nutzen. Mit dem Verkehr hatten wir dabei bisher, entgegen Berichten anderer Radreisenden, nie Probleme oder Bedenken deswegen. Wir hatten aber das Gefuehl, an den Schaufenstern eines Landes vorbeizuradeln, ohne die Laeden oder gar die Seitenstrassen zu besuchen. Es waren einfach immer wieder die gleichen Geschaefte und Haendler, die den schnellen wohlhabenden Durchgangsverkehr versorgen, Tankstellen, Cafes und Ortshauptstrassen, wie man sie sonst hinter den Kulissen gar nicht antrifft. Sozusagen ein gleichfoermiges aber fuer das jeweilige Land eigentlich traditionell untypisches Gesicht. Die Male, die wir uns auf Nebensrecken bewegten, wurden wir sofort mit fuer uns interessanteren Eindruecken belohnt. Leider ist dies aber nicht immer moeglich. Teilweise war ich etwas bedrueckt, dass wir gerade dadurch, dass wir mit dem Rad fahren, vielleicht doch weniger intensiven Kontakt zu den Einheimischen finden. Nach unseren letztlich gemachten Bus- und Zugstrecken ist dies zwar teilweise bestaetigt, aber auch wieder in einem gesunden Gleichgewicht.
Sitzt man mal nicht auf dem Sattel, muss man immer bedenken, wo man das Rad, bzw. das Rad inklusive dem gesamten (unmoeglich tragbaren) Gepaeck, sicher abstellen kann. Bei Hotels bestehen wir darauf die Raeder irgendwo unterstellen zu koennen, bisher problemlos. Beim Zelten ketten wir die Raeder, bis auf ganz wenige Ausnahmen, aneinander fest und decken sie nachts mit einer Plane zu. Haben wir besondere Sorge, befestigen wir einen kleinen Alarm daran (schluesselgross), der uns beim Bewegen der Raeder sofort wecken wuerde. Das ist aber bisher sehr selten der Fall. Muessen wir tagsueber das Rad mit dem gesamten Gepaeck abstellen, um z.B. etwas zu besichtigen, tun wir dies wenn moeglich an einem oeffentlichen Platz, reden vielleicht noch mit ein paar Haendlern, die es im Blickfeld haben, und nehmen das allerwichtigste in unserer kleinsten Tasche mit uns. Allein vom Gewicht her ist das Bewegen der beladenen Raeder schon nicht so leicht. Zudem sind die Fahrradtaschen auch nicht einfach abzunehmen, wenn man nicht weiss wie. Im grossen und Ganzen hatten wir bisher ein gutes Gefuehl und es hat alles geklappt. Ein Restrisiko bleibt natuerlich immer, aber damit belasten wir uns gedanklich nicht wirklich :-). Wollen wir unterwegs kurz etwas besorgen oder z.B. etwas erfragen oder ein Zugticket kaufen, so bleibt immer einer von uns beiden bei den Raedern. Die gemachten Erfahrungen dabei, bzw. der Kontakt zu den Leuten, bleibt dann meist nur einem vorbehalten. Dies empfinden wir durchaus als schade.

Mehrfach hat man uns gefragt oder nahegelegt, ob wir aus unserer Reise eine Buch machen wuerden, zumindest aber eine professionelle Diapraesentation. Wir haben nichts derlei vor, 🙂 bei diesem Blog wird es wohl bleiben. Auch die wiederkehrende ernst gemeinte Frage, ob wir denn Sponsoren haben, koennen wir immer nur negativ beantworten (bis auf die finanziell unaufwiegbare moralische Unterstzuetzung und Geduld von Freundin, Familien und Freunden natuerlich!). In Berichten im Internet, gerade von Radreisenden, haben wir aber festgestellt, dass Ausruester und Hersteller solche privaten Reisen durchaus unterstuetzen. Irgendwie haben wir das aber nie in Betracht gezogen. Das Thema Rad kam bei uns ja auch erst relativ spaet dazu.

Man koennte endlos weiter schreiben. Ich denke da so an die inneren Hoehen und Tiefen, die wir natuerlich bisher auch schon durchlebt haben. Ausserdem ist eine solche Reise zu zweit, das Tag und Nacht gemeinsame Leben, natuerlich auch eine Quelle unzaehliger Insidermuster. Sei das die Sprache, das Verhalten oder der Umgang miteinander. Erstaunlich ist auch, wie sich Erfahrungen und Gedankenwelt der Gegenwart decken, oder eben gerade nicht (was wohl oeffter der Fall ist!), mit den Vorstellungen und Erwartungen vor oder am Anfang der Reise. Die Laenge dieses Eintrages reicht aber schon lange, so dass wir diese Einblicke vielleicht besser vertagen :-).

Eine Zugfahrt, die ist lustig

Mittwoch, August 15th, 2007

Wir beginnen nun unsere 40stuendige Zugfahrt von Astrakhan nach Almaty. Wir verabschieden uns herzlich von Ulfara, die uns die letzten Tage Astrakhan gezeigt hat und dessen Familie uns hier ihre Datscha grosszuegig als Unterkunft zur Verfuegung gestellt hat. Nach einem interesanten Aufenthalt im heissen Wolgograd (dem frueheren Stalingrad) und dem dortigen Besuch der Gedenkstaetten zur Schlacht um diese Stadt im Zweiten Weltkrieg, haben wir in Astrakhan, am Wolgadelta in der Naehe zur Kasachischen Grenze ein paar noch heissere Tage verbracht (43 °C). Zum Glueck konnten wir uns in der Wolga sowie bei einem Ausflug ins Wolgadelta zu ein paar  Lotusbluetenfeldern des oefteren im kuehlen Nass erfrischen.

Seit 4 Stunden fahren wir jetzt schon mit dem Zug. Auf unsere Nachfrage, wann wir denn in Almaty ankommmen und wie lange denn die Fahrt dauere, haben wir erfahren, dass wir nicht wie erwartet um die 40 Stunden unterwegs sind, sondern, was unsere Kinnladen erst einmal unkontrolliert herunterhaengen lies, geschalgene 3 Tage und 3 Naechte. War das planlos?
Unser Parzelle der russischen Eisenbahn kann man kein Abteil nennen, da es nicht wie gewoehnlich durch eine Tuer vom Gang getrennt ist, sondern dieser mitten hindurch fuehrt und so eine Parzelle an die andere anschliesst. Ein solches „Nicht-Abteil“ ist etwa 1,70m breit an der Fensterseite, 2,50m hoch und 2,50m tief. Auf der einen Seite des Ganges gibt es jeweils rechts und links eines kleinen Klapptisches oben und unten ein Bett. Alle Betten sind geschaetzte 1,70m lang! Auf der anderen Seite des Ganges befinden sich parallel zum Verlauf des Ganges ebenfalls Betten auf den zwei Ebenen. Diese sind allerdings an ihrem  Kopf- und Fussende (man erinnere sich an die 1,70m Laenge) durch die Statik erhaltenden „Abteil“-Trenn-Waende begrenzt. Gluecklicherweise haben wir die oberen Betten rechts und links des Tisches und koennen so unsere Fuesse in Kopfhoehe ueber die Matratze hinaus in den Gang strecken.
Die untere Bettetage dient auch als Sitzflaeche, wobei das Sitzpolster aus zwei Zentimeter dickem gealterten Schaumstoff unter weinrotem Kunstleder besteht und auf die Rueckenpolsterung komplett verzichtet wurde. Der Abstand zur zweiten Bettetage von ca. 1,20m erlaubt das Sitzen, waehrend die oberen Betten herunter geklappt sind, was eigentlich die gesamte Zugfahrt der Fall ist. Der Lebensraum oberhalb der zweiten Bettetage allerdings wird nach etwa 60 Zentimetern durch die Gepaeckablage begrenzt. Dies erlaubt nur einen liegenden Aufenthalt in der zweiten Etage. Da man hier genau am geoeffneten oberen Teil des Fensters liegt, hat diese Bettebene aber auch seine Vorzuege. An dieser Stelle sei uns ein kleiner Vergleich erlaubt. Wir hoerten von einem Fall, da ein Reisender auf einem Langstreckenflug in der Reihe vor dem Notausgang sass und durch diese verantwortliche Sitzposition, ueber den gesamten Flug hinweg, seinen Sessel nicht zuruecklehnen konnte, da dieser verriegelt war. Nun, wir haben das Glueck am einzigen verantwortungsvollen Platz des Wagons zu liegen, naemlich am Notausstiegsfenster! Diese einzigartige Position in diesem Wagon ist mit einem kleinen Zugestaendnis verbunden. Das Fenster laesst sich naemlich ausserhalb eines Notfalls nicht oeffnen! (Wir fragen uns beim Schreiben dieser Zeilen und dem Feststellen, dass es sich wirklich um das einzige Fenster dieser Art im Wagon handelt, ob es in der Tat Zufall ist, dass wir beide diese verantwortungsvollen Plaetze erhalten haben…) Zur Theorie des „Nicht-Oeffnens“ sei noch erwaehnt, dass wir dies nicht wussten. Da wir es schon gewohnt sind, dass Tueren und Fenster hier in Russland manchmal klemmen, wollte es einer von uns beiden nicht war haben. Mit voller Kraft wurde am Hebel des Fensters gezogen, was dazu fuehrte, dass sich das Fenster doch irgendwann oeffnete, und zwar weit ueber jegliche Begrenzung hinweg und gleich den Vorhang mit abriss. (Ihr koennt uns ja mal ein Kommentar schreiben, wer das von uns wohl war…)
Dieser Akt der rohen Gewalt bzw. dieses kleine Missverstaendnis mit anschliessendem Missgeschick (die Autoren koennen sich hier nicht einig werden!) stiess bei der alten kirgisischen Mitreisenden in unserem „Abteil“ auf weitere Ablehnung den Auslaendern gegenueber. Die von uns freudig begruesste „Frischluft“ bei um die 40 Grad Celsius Aussentemperatur, wurde allerdings alsbald von einem herbeigerufenen Mechaniker der Eisenbahn wieder abgestellt, das Fenster wurde verschlossen und (wieder) verplombt.
Das erste Quaentchen Ablehnung uns gegenueber von Seiten unserer kirgisischen Mitreisenden provozierten wir durch das Einladen unseres relativ ueppigen Gepaecks (da waren ja auch zwei Fahrraeder dabei). Geuebt von unseren vorherigen Zugfahrten, platzierten wir die zwei Bikes unter der Wagondecke. Diese fuer uns selbstverstaendliche und bewaerte Befestigungsmethode erweckte bei der kirgisischen Omi kein akutes Vertrauen, was sie uns immer wieder in Form von auf ihren Kopf herabfallenden Fahrraedern gestikulierte. Nachdem wir dann alles zu ihrer Beruhigung, aber voellig ueberfluessigerweise, verzurrt haben und immer wieder mit dem Wort „normal“ (was soviel wie „ok“ bedeutet) versicherten, das das alles schon passe, heisst es dann, unsere Raeder wuerden schlecht riechen! Alles hat ja auch seine Grenzen!

Die Sonne ist inzwischen am Rande der schier endlosen kasachischen Steppen untergegangen, trotzdem staut sich die Hitze in unserem „Abteil“. Dennoch freuen wir uns auf die verbleibenden 64 Stunden (!) in diesem kleinen Paradies. Von rechts schreiende Kinder, von links das obligatorische Schnarchen eines 120 Kilo-Mannes, gegenueber liegt ein Teenager und liest ein Lifestyle-Magazin, 20 Zentimeter ueber unserem Kopf das Brett der Ablage mit unseren Raedern quer ueber das „Abteil“, unter uns die inzwischen besser auf uns zu sprechende aeltere Kirgisin mit ihrem Mann, dessen Fuesse sich nach anfaenglicher Selbstkritik als die Ursache des strengen Dufts herausgestellt haben, und hinter unseren Koepfen das natuerlich geschlossene Notausstiegsfenster.
In den bisher 7 Stunden Zugfahrt koennen wir behaupten schon ein paar Freunde gemacht zu haben. Wobei die Zug-„Fahrt“ bisher aus drei Stunden Halt fuer Grenzkontrollen und vier Stunden Fahrt bestand. Die Fahrt wird  allerdings immer wieder durch kurze Stops unterbrochen, um andere Zuege zu passieren.
Durch das Fenster sehen wir als erstes die Abgase unserer Diesellok wie Wolken an uns vorbei ziehen, dahinter die parallel zur Bahnlinie verlaufenden Strommasten und letzendlich eine etwas befremdlich wirkende weitreichende Steppenlandschaft. Als Konsequenz der einheitlich angewandten  Abfallentsorgungspraktiken in russischen Zuegen wird die Bahnlinie unmittelbar von Muell gesaeumt. Neben diesem haesslichen Anblick und der monotonen Landschaft sehen wir auch weidende Kamele und ab und an eine kleine Ortschaft oder einen muslimischen Friedhof aus kleinen gemauerten spitzbezinnten Haeuschen gen Mekka gewant an uns vorbeiziehen.
Aber zurueck zu unseren neuen Freunden. Nach anfaenglichen Befuerchtungen, dass wir unsere Reisebeziehung mit dem aelteren kirgisischen Ehepaar unter uns mit schlechtem Vorzeichen begonnen haben, hat sich die Allgemeine Stimmung durch gegenseitige Bemuehungen im Laufe der ersten Stunden erheblich verbessert. Durch die grundlegend einfache Kommunikation durch Gestik und Laute lacht man ueber sich und den anderen und schafft eine einander wohlgesonnene Atmosphaere. Auf die oft gestellte Frage, wie wir diese Reise finanzieren koennen, zeigen wir auf unseren nackten Ringfinger als Zeichen dafuer, dass wir nicht verheiratet sind, was bei Maennern jeglicher Nationalitaet auf sofortiges Verstaendnis stoesst. Die Reaktion der kirgisischen Ehefrau allerdings ging im allgemeinen Gelaechter unter. Durch den begrenzten Raum und die lange gemeinsam zu verbringende Zeit kommt man mit jedermann im Wagon in Kontakt und wir als exotische Auslaender sind gern gesehene Gaeste in anderen „Abteilen“ unseres Wagons. Im Abteil neben uns ist eie Familie aus Aserbaidjan, der Vater, Akiv, seine Frau mit ihre beiden frechen Soehne, Elmartin und Elgun, die uns immerzu in die Zehen zwicken, wenn wir auf unseren Pritschen liegen. Auch alles andere an uns wie Walkman und Brille wird gern ausgetauscht und begutachtet und am liebsten bei dieser Hitze wird geschmust! Ein junges kasachisches Paar, die beide auch etwas englisch sprechen und in Almaty studieren und versuchen uns alles kasachische ans Herz zu legen, teilen sich die Parzelle mit den Aserbaidjanern. Mit zwei Betten in unserem sowie drei im Nachbar-„Abteil“ weilt eine russische Mutter mit asiatischen Gesichtszuegen mit ihren vier Kindern. Die aelteste Tochter lauscht gerne unseren gestenreichen Konversationen mit anderen und wirft dann ganz stolz ein Wort in englisch oder deutsch ein. Wir sind immer sehr anerkennend. Weiter den Gang hinunter ist eine groessere dagestanische Familie mit drei Jungs im Teenageralter, Abdul, Abdullah und Habib. Alle drei sind Boxer und Ringer und haben die ensprechenden Figuren, die einen vor Neid erblassen lassen. Aus Platznot, aber auch durch den ueberschuss an Zeit, wandern die Leute durch den Wagon und mischen sich in andere „Abteile“ zum Austausch von Neuigkeiten. Wir werden von allen Seiten verwoehnt, das kirgisische Ehepaar kuemmert sich um unsere Hauptmahlzeiten, kuehle Getraenke bekommen wir vom aserbaidjanischen Familienoberhaupt, und den Nachtisch reichen uns die russischen und aserbaidjanischen Kinder. Wir versuchen klaeglich auch hier und da etwas beizusteuern. Dies wird aber nicht so gerne gesehen, bzw. nicht angenommen oder ignoriert. Wir haben das Gefuehl, dass wir darauf achten muessen, keinem den Vorzug zu geben. Am meisten umsorgt uns die Schaffnerin Valentina, deren Herz wir durch das Angebot eines Scherzmittels gegen ihre offensichtliche Pein gewonnen haben. Seit dem umsorgt und beschuetz sie uns, auch bei unseren Geschaeften ausserhalb des Zuges, wie eine Mutter, weshalb wir sie auch nur noch „Mama“ nennen.

Inzwischen sind wir uebrigens schon 48 Stunden unterwegs und haben dabei bereits zwei Zeitzonengrenzen passiert. Die Langeweile treibt uns auch zu poetischer Hoechstleistung. Unser reinstes Ergebnis:

„Ohne Scheiss,
mir ist heiss!“

Ausserdem treibt es uns gemeinsam zu diesen detaillierten Ausfuehrungen, die ihr gerade vor Euch habt.
Als Abwechslung zur monotonen Zugfahrt freuen sich alle ueber die unregelmaessigen Stops an den Bahnhoefen. Dort verkaufen meist fliegende Haendlerinnen aus Tueten heraus ihre Waren. Im Angebot ist z.B. Brot, Huehnchen, Tomaten, gekochte Eier, Fladen mit Kartoffeln oder Fleisch gefuellt und Trockenwaren wie Tuetensuppen, Tee und Kaffee. Ausserdem gibt es eiskalte Getraenke, die, da sie komplett durchgefroren sind, sich sogar einige Zeit kuehl halten, allerdings muss man den Zeitpunkt, da man sie trinken kann, gut abpassen. Waerend der Fahrt kann man sich, aus einem mit Brikets beheiztem Samowar in jedem Wagon, mit heissem Wasser fuer Tee, Suppen oder Kaffee versorgen.

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