Auszug aus dem Tagebuch

Tag 27, Sa 30.6.07 -> Simferopol

Schon um 8:00 Uhr frueh sind wir auf der Strasse. Zurueck auf der grossen Schnellstrasse fruehstuecken wir an einer Tankstelle Teigbaellchen mit Fleischfuellung und ein Lion, dazu starken Kaffee.
Bei der naechsten Anssammlung von Laeden am Strassenrand, direkt bei einem Markt, der heute in vielen Doerfern abgehalten wird, wollen wir wieder unser Glueck als Anhalter versuchen. Nach gut 35 Minuten haben wir das Glueck und werden von Erlan, der von einem Audi A6 trauemt (oder einen hat, das haben wir nicht ganz verstanden), in seinem kleinen Transporter bis nach Dzhankoi mitgenommen. Hier sind wir auch nach 45 Minuten mit dem Trampen nicht erfolgreich. Es gibt allerdings auch kaum LKWs oder Tranporter in unsere Richtung, denen wir unseren Wunsch mitgenommen zu werden signalisieren koennten. Da es bis zu unserem naechsten Ziel, Simferopol im Herzen der Krim, aber noch gut 95 Kilometer sind, brauchen wir irgend eine Art von beschleunigtemTransportmittel, wenn wir es noch heute erreichen wollen. Wir entscheiden uns dafuer, es mit dem Zug zu probieren. Auf dem Weg zum Bahnhof zeigt sich, was fuer eine schoene Stadt Dzhankoi eigentlich ist. Alle Strassen sind gesaeumt mit Baeumen, es ist merkbar sauberer als an anderen Orten und der Bahnhof selbst blueht in neuem Glanz. Auch hier scheint heute Reisetag zu sein. Menschen warten ueberall auf die Zuege oder auf eine Mitfahrgelegenheit auf dem angeschlossenen Busbahnhof.

Es dauert wieder einige Zeit, drei mal muss ich zum Ticketschalter, bis ich herausgefunden habe, wann ein Zug zu einem unserer Wunschziele faehrt und ich entsprechend Tickets kaufen kann. Die Angestellte am Ticketschalter ist aber auch sehr geduldig und nett und hat sogar Spass daran, mit mir ueber unser so nuetzliches kleines Russisch-Deutsch Langenscheidlexikon zu kommunizieren. Fuer die Fahrraeder erstehe ich auch zwei Sondertickets fuer Gepaeck.

Ca, 1 1/2 Stunden nach unserer Ankunft am Bahnhof faehrt der Zug. Wir stellen uns mit den Raedern wieder am Ende des Bahnsteiges auf, um in den letzten Wagon einsteigen zu koennen. Als der Zug dann endlich einfaehrt, schnallen wir unsere dicken Kanusaecke und die hinteren Gepaecktaschen von den Raedern, weil wir bereits die Erfahrung gemacht haben, dass wir mit diesen die Raeder nicht durch die engen Wagontuern bekommen. Ausserdem ist das komplett beladene Rad vom Gewicht her kaum zu handeln.

Es geht alles ein bischen schnell. An der hintersten Tuer beginnen Leute auszusteigen, andere kommen aus allen Richtungen. Es wird sich begruesst, geschwatzt und vor allem um gelbe Melonen gehandelt. Dabei scheint es keine bevorzugte Handelsrichtung zu geben. In den Zug hinein und aus dem Zug heraus scheinen Melonen fuer ein paar Scheine ihre Besitzer zu wechseln. Fuer uns ist jedenfalls absolut kein Durchkommen. Wir versuchen es an der naechsten Tuer. Diese ist aber verschlossen. Bei der uebernaechsten Tuer werden wir an die Schaffnerin verwiesen, die aber den von uns beobachteten Handel an der letzten Tuer des Zuges zu ihren Gunsten zu ueberwachen scheint. Mit unseren Raedern und unseren abgeschnallten Taschen, die wir unhandlich mit uns schleppen, gehen wir also wieder zurueck zu unserer ersten Tuer. Mit etwas mehr Durchsetzungsvermoegen, die Geschaefte scheinen nun auch alle getaetigt und die Menge loest sich bereits etwas auf, schaffen wir es zumindest vor bis zur Wagontuer. Mit teilnahmlosen Blick aus der Tuer herab auf unsere Raeder gestikuliert uns die Schaffnerin aber ein klares „NJET“. Ich versuch ihr verstaendlich zu machen, dass wir Tickets, auch fuer die Raeder, haetten und zeige sie ihr. Auch das beeindruckt sie nicht! Inzwischen faengt der Zug an zu rollen. Jede weitere Diskussion eruebrigt sich. Der Zug faehrt aus dem Bahnhof aus und wir stehen immer noch auf dem Bahnsteig.

Also, „versuchen die Tickets zurueck zu geben und mit den Raedern weiter“ ist der naechste Gedanke.

Im Bahnhofsgebaeude, wo ich wieder einmal am Ticketschalter anstehe (Christoph ist bei den Raedern), nimmt mich ein Herr mittleren Alters, mit dem wir bereits vorher auf dem Bahnsteig ein paar nette Wote gewechselt hatten, mit in einen anderen Teil des Bahnhofs und macht mich auf eine Tuer aufmerksam, klopft an, gibt mir zu verstehen, dass ich hier richtig sei, und verschwindet wieder. Ich stehe also da, kein Schild and der nackten Tuer (nicht dass ich es haette verstehen koennen!), die Leute im Wartesaal um mich herum mit unberuehrten Mienen, manche vielleicht neugierig schauend. Manchmal steht man einfach da und weiss gar nicht mehr was geht. Die fehlenden Sprachkenntnisse und dazu die kyrillische Schrift, mit der wir erst anfangen uns anzufreunden, provozieren diese Situationen. Da sich nichts zu tun scheint hinter dieser Tuer gehe ich zurueck zu der Schlange meiner freundlichen Ticketverkaeuferin, wo ich wenigstens weiss, dass ich nicht gleich in einem russischen Redeschwall abgewiesen werde (auf der Krim wird hauptsaechlich russisch gesprochen), wie es mir an anderen Schaltern durchaus schon passiert ist. Als ich gerade dran komme und der erstaunt dreinschauenden Beamtin versuche mitzuteilen „Njet – hineinlassen – Zug“, was ich im Lexikon nachgeschlagen hatte, und mit den noch vorhandenen Tickets wedle, taucht der hilfsbereite Herr wieder auf, diesmal mit einer Bahnangestellten mit zwei Sternen auf den Epauletten. Die anderen hier haben noch nicht mal einen! Die Bahnhofsvorsteherin? Jedenfalls eine kompetente Dame und sie hat hier offensichtlich das Sagen! Freundlich zwinkern tut sie dazu und signalisiert uns „das machen wir schon“. Nachdem die Situation erst mnal erlaeutert ist, dank Minilexikon, wird klar, das die Loesung offensichtlich „elektrischer Zug“ ist. Wir werden unter neugierigen Blicken hinter ihr her trottend und unsere Bikes schiebend, von ihr zu einem anderen Bahnhof gefuehrt. Unterwegs spricht sie pausenlos in ihr Walki-Talki und macht die Bahnangestellten auf den entfernten Bahnsteigen lauthals zur Schnecke. Zu uns ist sie allerdings aeusserst charmant. Am neuen Bahnhof angekommen wird die dortige Dame mit zwei Sternen auf der Schulter eingeweiht. Dabei wird durch unserer Retterin auch klargestellt, dass unsere Tickets fuer diesen anderen Zug auch gelten wuerden (wir interpretieren halt immer kraeftig mit, verstehen tun wir zu wenig). Auch fuer die zweite Dame scheint die Herausforderung – die zwei verlorenen Deutschen (wir verstehen nur das Wort „Germani“) an ihr Ziel zu bekommen – eine Abwechslung von ihrem Alltag zu sein.

Am Bahnsteig wird uns muetterlich streng bestimmt uns zu setzen und zu warten. Wir gehorchen und Christoph salutiert. Der Engel von Bahnhofsvorsteherin des ersten Bahnhofs verabschiedet sich und wir sind ihr wirklich dankbar. Die zweite Dame macht uns verstaendlich, dass sie wiederkaeme, wenn der Zug kommt und laesst uns dann allein. Wir sind nun zuversichtlich, dass wir unser Ziel heute noch erreichen, und warten geduldig und entspannt auf unseren Zug, einmal mehr begeistert von den Ukrainern.

Der Zug braucht gute 3 Stunden fuer die Fahrt nach Simferopol und erinnert uns sehr an unseren Bummelzug aus Moldawien.

In Simferopol scheint die Hoelle los. Menschenmassen, die offensichtlich zu der Gattung „Sommertourist“ gehoeren, bevoelkern die Umgebung des Bahnhofs. Es herrscht reges Leben und eine ausgelassene Stimmung.

Mit dem Rad fahren wir in die Stadt und erfragen bei einem gehobenen Hotel, das unser Budget sprengen wuerde, die Adressen anderer guenstigerer Unterkuenfte. Etwas ausserhalb des Zentrums finden wir so unser Traumhotel! Ein bezaubernd abgewetzter sozialistischer Plattenbau mit dem Flair sozialistischer Glanzzeiten. Unser Zimmer ist eigentlich ein kleines Appartment, wo wir auch die Raeder wieder unterbringen koennen, mit einem geraeumigen Bad mit freiliegenden Rohren ueberall und einem 60er Jahre Wohnzimmer. Perfekt! Und das fuer ein drittel des Preises von den Hotels, die im Lonely Planet aufgefuehrt sind. Und sogar mit Fruestueck (hatten wir bisher noch nie!). Die Einfahrt zum Hotelparkplatz wird von einem Wachturm mit riesigem drehbarem Suchscheinwerfer flankiert, der an die Wachtuerme an der Berliner Mauer frueher erinnert. Einfach genau unser Ding!

Zum Abendessen gibt es Pizza im Zentrum der Stadt. Eines der Essen, die wir ohne allzugrosse Schwierigkeiten bestellen koennen (auch wenn dann Pilze am Ende doch Schinken auf der Pizza sind…). Einen Absacker und eine Suessspeise goennen wir uns noch in einer von aussen chillig aussehenden Terassenbar, wo wir aber wieder auf eine ukrainisch flapsige Art bedient werden.

Hier in Simferopol, nahe der Tourismushochburgen am Schwarzen Meer, scheint Minirock oder Minihotpant mit hochhackigen Schuhen auf jeden Fall zum guten Stil zu gehoeren. Wohin man auch schaut, lange nackte Beine und koerperbetonte, aufreizende, ausgefallene Kleidchen. Da wird einem fast schwindelig! Aber wir tragen es mit Fassung! Ausserdem fallen wir mit dem gelegentlichen Klappern unserer Klickpedalschuhe zwischen dem ganzen Geklapper der Pfennigabsaetze (wenn sie so gross waeren!) nicht so auf.

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